Japans Kaiser bricht sein Schweigen

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Zum ersten Mal äußert sich der Tenno zur Jahrhundertkatastrophe: Dabei wirkt er zurückhaltend und zögerlich. Kaiserliches Schweigen hat in Japan jahrtausendlange Tradition.

Endlich: Am Tag sechs nach dem verheerenden Erdbeben äußert sich Kaiser Akihito erstmals zur Jahrhundertkatastrophe. Viel hat der Monarch nicht zu sagen: „Zutiefst verletzt und besorgt“ sei er, und „die Ereignisse waren nicht vorauszusehen“. Zwar regiert der Tenno nicht mehr in Japan, aber er ist ein Symbol des Staates. Man hätte also vielleicht etwas mehr Engagement erwarten können. Muss ein Kaiser nicht an der Seite seines Volkes stehen? Wie weit ist es mit der Bürgernähe einer Monarchie her, die sich auf Tausende Jahre Tradition seit der Sonnenkönigin Amaterasu, also auf die Urwurzeln Japans beruft? Nicht wenige Japaner, auch solche, die Kaiser Akihito bisher grenzenlos verehrt haben, werden sich diese Fragen stellen.

Sorgfältigst frisiert, in einem grauen Maßanzug mit Seidenkrawatte – also nicht wie Premier Naoto Kan und andere Regierungsmitglieder in der Arbeitermontur – setzte sich der Monarch am Mittwoch vor eine Bambus-Papierwand seines Palastes und sprach im Fernsehen.

Der „Mensch über den Wolken“

Was der 77-Jährige dem Volk zu sagen hatte, passte in wenige Minuten, auch wenn alle TV-Stationen Japans dafür ihre laufenden Programme unterbrachen. Er sei „zutiefst besorgt über die Folgen des schweren Erdbebens, das von noch nie gesehenem Ausmaß“ gewesen sei. Den Tsunami und die Atomkatastrophe erwähnte er nicht. Und es klang nicht gerade entschlossen, wenn der Kaiser „hofft, dass so viele Menschen wie möglich lebend gerettet werden“. Da hätte man doch mehr konkrete Hilfe erwarten können. Stattdessen forderte Akihito die Menschen nur auf, die „Hoffnung nicht aufzugeben und einander zu helfen“.

Kaiserliches Schweigen zu Alltagsproblemen hat Tradition. Der Hof achtet streng darauf, dass der Tenno als „Mensch über den Wolken“ keine Diskussion auslöst. Es hat aus Sicht vieler Monarchiegegner in Japan durchaus Sinn, dass der Sohn und Nachfolger des Kriegskaisers Hirohito sich nur äußerst selten und zurückhaltend äußert. Das gilt selbst für relativ lapidare Dinge. So vergibt der Tenno Kaiserpokale im Fußball oder im Nationalsport Sumo, seine Loge bleibt meistens leer.

Symbol der Einheit des Volkes

Wenigstens, so kommentieren einige Medien, hat Akihito auf den ansonsten üblichen Pathos oder Pomp verzichtet. Als persönlichen Beitrag zur Katastrophenbekämpfung sagte der Palast das Kirschblütenfest Ende April ab. Außerdem werde sich der Kaiserhaushalt aktiv und freiwillig – wie es ausdrücklich hieß – am Stromsparen beteiligen. Schließlich „schwebt“ ja der 125.Tenno, wie alle seine Vorgänger, „unbeeindruckt vom tatsächlichen Geschehen über den Niederungen des Volkes“.

Allerdings ist das so neu nun wieder nicht, denn sein Vater Hirohito hatte 1945 auf Drängen der USA im Radio und mit dünner Stimme auf seine Heiligkeit verzichtet. Seither wissen die wenigsten Japaner etwas mit der Mystik des Kaisers anzufangen. Die moderne Verfassung beschreibt den Hüter des Chrysanthementhrons als „Symbol des Staates und der Einheit des Volkes“. Weil keiner so recht weiß, was damit gemeint ist, wird die kaiserliche Rolle nach Gutdünken ausgelegt. Einig ist man sich darin, dass das fast 2700Jahre ununterbrochene Kaisertum ein starker Beweis für die Kontinuität der japanischen Nation ist.

Akihito, der im November 1989 den Chrysanthementhron bestieg und elf Monate später auch offiziell zum Tenno ausgerufen wurde, ist keine Celebrity, wie sie Monarchien in Europa hervorbringen, auch keine gottähnliche Autorität wie in Thailand. Im Vergleich käme der Kaiser eher dem Papst nahe – man verehrt ihn als Institution. Allerdings predigt er keine Glaubens- und Lebensgrundsätze.

Des Kaisers erste Pflicht ist öffentliches Schweigen. Jedenfalls zu allen dringenden Themen der Innen- und Außenpolitik. Wenn er überhaupt redet, dann meist allgemein. Dabei wählt er oft so altmodische Worte, dass viele Japaner Mühe haben, ihn zu verstehen.

Die Rundumbetreuung der kaiserlichen Familie kostet die Steuerzahler jährlich etwa 250Millionen Euro. Für das Wohl des direkten Nachfahren der legendären Sonnengöttin Amaterasu, die das „Reich der aufgehenden Sonne“ schuf, sorgt ein Heer von Hofschranzen. Rund 1100 Bedienstete sind im Palast angestellt. Sie bestimmen, was hinter den Felsenmauern des Tokioter Palastes läuft, und vor allem, was nicht läuft.

Was aber genau macht eigentlich ein japanischer Kaiser? Vieles, was Akihito, der als der erste Tenno ohne göttlichen Anspruch auf dem Chrysanthementhron sitzt, zu erledigen hat, ist Prozedur oder religiöses Ritual innerhalb des Palastbereiches. Nicht viel mehr als ein Dutzend Mal pro Jahr ist er Thema der TV-Hauptnachrichten. Was aber kaum einer weiß: Akihito muss formal mehr als 100 Kabinettsbeschlüsse pro Jahr lesen und abzeichnen. Offizielle Abendessen und Teezeremonien summieren sich auf über 200. Dem Volk zeigt er sich eigentlich nur zwei Mal im Jahr: zu Neujahr und zu seinem Geburtstag am 23.Dezember.

„Wie ein Picasso im Banktresor“

Der Palast sorgt dafür, dass Akihito dabei den Eindruck erweckt, er kümmere sich um seine Landsleute, spende Trost und Hoffnung – allerdings in allgemeinster Natur. Nach dem Erdbeben 1995 in Kobe, bei dem 6400 Menschen starben und seit dem Tausende noch heute in Notunterkünften hausen, wartete das Hofamt zwei Wochen, ehe es den Landesvater ins Katastrophengebiet schickte. Daran gemessen, hat Kaiser Akihito mit seiner Videobotschaft am Mittwoch fast schon aktuell reagiert.

Wird der Kaiser im TV einmal zu Hause „privat“ gezeigt, erforscht er die Barschart Cristatogobius, füttert Seidenraupen oder setzt im Palastgarten Reispflanzen. Niemand in Japan hält das ernsthaft für Reality-TV, „eher für das Zurschaustellen einer edlen Antiquität, deren Wert in ihrer puren Existenz liegt“, wie ein Kaiserkritiker anmerkt. „Akihito wird behandelt wie ein Picasso im Banktresor.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.03.2011)

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